Infantilisierungssolon – Ein Rückblick
Die Infantilisierung der Gesellschaft ist ein immer wiederkehrendes
Thema der Feuilletons, in der (Sozial-) Wissenschaft spielt der Begriff aber
kaum eine Rolle. Warum das so ist, wurde auch im Salon schnell klar. Die
Konzepte und Tendenzen, die sich hinter dem Begriff versammeln, unterscheiden
sich abhängig vom Betrachter und der Betrachtungsweise was denn infantil oder
kindlich sei – und damit auch von einem Werturteil, was erwachsenes Verhalten
sei. Der Begriff kann nicht wertneutral verwendet oder "objektiviert"
werden.
Was wären aber infantile Zuschreibungen? Wunschgetriebenheit, Narzissmus, Stilisierung, Der Effekt als Inhalt einer Botschaft, das Plädieren auf eigene Unzurechnungsfähigkeit, Entpolitisierungen, Fixierung auf das Hier und Jetzt, Ästhetisierung der Existenz, Zurschautragen von Sexualität, Provokation als Selbstzweck, das Nicht-Aushalten von Ambivalenzen und Widersprüchen, Zeigestolz oder die Fehlende Unterscheidung von Ich und Welt wären die wichtigsten Beispiele. Natürlich erwecken sie Widerspruch, und es geht nicht darum, diese Eigenschaften abzuwerten. Allerdings begibt sich eine Gesellschaft, in der sich diese Eigenschaften häufen, in Gefahr. Die Frage der Infantilisierung wird dabei stets im Zusammenhang stehen mit der Frage des Liberalismus. Es ist zweischneidig: Freiheit bedeutet Ermächtigung, mithin Mündigkeit – öffnet aber auch das Tor zu infantilem Verhalten.
Was wären aber infantile Zuschreibungen? Wunschgetriebenheit, Narzissmus, Stilisierung, Der Effekt als Inhalt einer Botschaft, das Plädieren auf eigene Unzurechnungsfähigkeit, Entpolitisierungen, Fixierung auf das Hier und Jetzt, Ästhetisierung der Existenz, Zurschautragen von Sexualität, Provokation als Selbstzweck, das Nicht-Aushalten von Ambivalenzen und Widersprüchen, Zeigestolz oder die Fehlende Unterscheidung von Ich und Welt wären die wichtigsten Beispiele. Natürlich erwecken sie Widerspruch, und es geht nicht darum, diese Eigenschaften abzuwerten. Allerdings begibt sich eine Gesellschaft, in der sich diese Eigenschaften häufen, in Gefahr. Die Frage der Infantilisierung wird dabei stets im Zusammenhang stehen mit der Frage des Liberalismus. Es ist zweischneidig: Freiheit bedeutet Ermächtigung, mithin Mündigkeit – öffnet aber auch das Tor zu infantilem Verhalten.
Ein präsentes Beispiel für infantile Tendenzen ist die Fokussierung
auf unsere eigenen Wünsche und Gefühle als Maßstab des Handels. Ich-Botschaften
sind Zeitgeist geworden, seit bekannt wurde, dass sie Beziehungskonflikte lösen
helfen. Doch dabei werden gelegentlich Aussage (das Miteinander) und Methode
(Ich-Botschaft) verwechselt. Es gibt eine wichtigere Komponente, wenn es um
„erwachsenen“ Umgang mit Konflikten und Entscheidungen geht: Das Maß. Sich
nicht mäßigen können ist ein Wesenszug, den man infantil nennen kann. Und eine
Gesellschaft, die sich nicht zu mäßigen versteht, wiese ein Merkmal des
Infantilismus auf.
Wie nahe liegt beim Sprechen über Maßlosigkeit der Verweis auf die
kapitalistische Welt mit den ihr innewohnenden infantilen Strömungen, sei es
das Haben-Wollen oder die Verkürzung/Vereinfachung von Inhalten, um mit wenig
ökonomischem Aufwand eine möglichst große Gruppe anzusprechen. Dies alles liegt in solcher Weise auf der
Hand, dass der analytische Gewinn der Diskussion wohl überschaubar ist. Dennoch
hat sich die Diskussion in diesem Thema verstrickt, weil es ein ethisch und
normativ extrem geladener Bereich ist. Das ging bis zu der Position, dass
Individuen in unserer Gesellschaft bewusst infantil gehalten werden, um sich
besser steuern zu lassen – eine Mehrheit fand diese Position nicht, deren
systematischer Nachweis aussteht.
Wir untersuchten das Problem an einer Frage: Ein gerissener
Anlageberater mag an infantilen Kunden interessiert sein, da sie im Idealfall
zügig und kritiklos gewinnträchtige Verträge unterschreiben. Gesetzesänderungen
aus neuerer Zeit schützen Verbraucher vor Verträgen, die sie nicht verstehen,
erhöhen die Beratungs- und Nachweispflichten für die Berater beträchtlich. Wird
damit aber Verantwortung vom Verbraucher genommen, ihm mithin die Mündigkeit
abgesprochen? Wird damit nicht jene Infantilität befördert, von der die Branche
dann wieder profitiert? Umso leichter es scheint, aus einem Vertrag
auszusteigen, umso weniger muss ich ihn verstehen. Hier einigten wir uns nicht
– das Thema ist zu stark von persönlichen Erfahrungen und Wertvorstellungen
geprägt, um es an einem informellen Abend auf der abstrakten Ebene verhandeln
zu können.
Als „kollektive Selbstverkleinerung“
beschrieb ein Beobachter die Infantilisierung. Sie vergrößert die
Gefahr, einfachen Lösungen auf den Leim zu gehen. Es nimmt uns geistige und
ästhetische Potenziale. Bedenken wir nur den Erfolg von Shades of Grey, ein
Buch, das scheinbar sehr erwachsene Themen behandelt – tatsächlich aber ein
Sammelsurium der Infantilität ist. Krönung ist die Entführung auf das
Märchenschloss, das der Protagonistin wiederfährt, als sie mit dem Hubschrauber
in die Luxusimmobile des sexsüchtigen Milliardärs geflogen wird. Nichts in dem
Buch verweist auf etwas außerhalb seiner selbst. Es ist eine Kinderwunschwelt,
die sich in sich begnügt. Das heißt nicht, dass Erwachsene so etwas nicht
dürfen – aber sie sollen sich selbst darin nicht verlieren. Es muss Teil der
Welt bleiben – sich selbst mit der Welt kritisch in Beziehung setzen, das ist
kein infantiles Verhalten. Dabei existiert beim kritischen Denken ein
entscheidender Unterschied zwischen reflektiert und reflexhaft – letzteres ist
auch eine infantile Tendenz unserer Zeit.
In unserer Gesellschaft sind die Boulevardmedien ein reger
Infantilisierer. Der Konflikt entsteht dadurch, ein möglichst großes Publikum
erreichen zu wollen: Wie niedrig muss ich die Schwelle legen? Was darf ich vom
Anderen erwarten? Nahe liegt es da, mit den einfachsten Reizen zu arbeiten. So
eine Reizquelle ist das Internet - gerade auch für aufgeklärte Menschen. Nie
war es leichter, sich Selbstbestätigung abzuholen und sich der Widersprüche der
Welt zu entledigen. Vielschichtigkeit zu erfahren und zu verstehen steht auf
dem Spiel. Dazu bedient sich die
Gesellschaft einer komplexen Symbolsprache. Symbole zu deuten ist ein kulturell
gewachsener Prozess, den zu erlernen Reifung bedeutet. Es ist kindisch, alles
beim Wort zu nehmen. Aber dem, der nicht dahinter schauen mag, ist mit Vernunft
nicht beizukommen. Die bibelworttreue Teaparty-Bewegung in den USA war ein
Beispiel dafür. Weitere wird jeder in seinem Umfeld, ja bei sich selbst finden.
Zur Unendlichkeit der Ebenen, auf denen sich die Welt abspielt, gibt
es mit Selbstverliebtheit, Simplifizierung und Schönheitssucht keinen Zutritt.
Abschließen wollen wir mit einer Botschaft der Philosophin Susan Neiman: Erwachsen sein heißt beides zugleich im Blick haben: Die Welt, wie sie ist. Und wie sie sein sollte.
Marcel Pochanke
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