23. März 2016

Resümee zum Salon "Russland im Spannungsfeld mit dem Westen"

Freunde geblieben
 
Der 53. Salon hat gezeigt, dass man über unser Verhältnis Russland diskutieren kann und muss. Auch wenn uns allen Wörter wie "Objektivität", "Differenziertheit" und "Interessen" erwartbar und beständig um die Ohren fliegen.



Von Marcel Pochanke und Doreen Schilde


Die Frage der Russlandbilder stand am Anfang. Von netten, gastfreundlichen Menschen war die Rede, von der Bewunderung der russischen Führung, vom Streben Russlands nach einer multipolaren Welt. Es sei kein differenziertes Bild durch die Medien möglich. Russlandhetze würde betrieben.
Auf der anderen Seite wurden Fotos von inhaftierten oder ermordeten Oppositionellen, z.B. Chodorkowski, Politkowskaja, Nemzow gezeigt. Es war die Rede von einem autoritären Präsidenten und aggressiver Außenpolitik, um von inneren Problemen abzulenken. Das sind Ausschnitte aus den Auffassungen, die soweit ja nicht neu sind.
Folgerichtig musste man vor allem die Bildvermittlung diskutieren, die zu den verschiedenen Anschauungen führt. Und hier ist der Erkenntniswert vor allem in der Diskussion selbst zu sehen. Dem Vermeiden von Automatismen, weil sie unter dem Verdacht stehen, interessengeleitet zu sein oder auf Ressentiments beruhen und deshalb bestimmte Informationen oder Gedanken vorschnell ablehnen lassen.

Wo kommen diese Automatismen her? Wir besprachen die These, dass hier Prägungen in jungen Jahren zu einer positiven oder negativen Grundeinstellung gegenüber dem Land geführt hätten, die sich bei der heutigen Analyse bemerkbar machten. Sie wurde als durchaus nachvollziehbar erachtet, hat aber keinen Konsens gefunden.

Nichts wird je abschließend betrachtet, und aus singulären Handlungen (Fehler in der Berichterstattung zum Beispiel) ein Gesamtbild zu erzeugen, ist ein Weg, der mit Obacht gegangen werden sollte. Das gleiche gilt für Kritik an russischer Politik – oft wird dem Kritiker in dem Moment eine Weltanschauung oder mindestens eine einseitige Informationsgewinnung vorgehalten. Dem haben wir uns wohl recht gut entzogen, so ist eine wichtige Botschaft des Salons: Es geht, das Thema Russland und der Westen muss den Salon nicht entzweien. Ob die Gedanken einander dabei näher gekommen sind?

Wir sprachen viel über Gefahr. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine Eskalation der politischen Konfliktlage eher durch zufällige Verkettungen entstehen könnte, als sie von einer oder mehreren Parteien wirklich gewollt wäre. Dem vorzubeugen durch das Anbieten und Üben von Gesprächskulturen, scheint eine passende Antwort.

Westliche Medien wurden für ihre Berichterstattung kritisiert und Neutralität eingefordert. Gleichzeitig wurde die Gleichförmigkeit der Berichterstattung angeprangert und als Beleg fehlender Objektivität zitiert. Ungelöst blieb dabei der logische Widerspruch, wie die Existenz einer „neutralen Wirklichkeit“, welche die Berichterstattung leitet, und der Wunsch nach vielfältigem Medientenor zu vereinen sei. Problematisch war auch die bekannte Forderung nach Differenziertheit. Sie trat gelegentlich als Mittel auf, um andere Gedanken zu diskreditieren. Letztlich kann jeder Gedanke nur zum gewissen Grad differenziert sein. Sich um Differenziertheit bemühen ja, sie als rhetorisches Mittel benutzen nein.

Als nach der Medienkritik anhand des konkreten Filmprojektes „Wie gefährlich ist der neue Kalte Krieg?“ auch von der Autorin die Frage gestellt wurde, wen man zu Wort kommen lassen solle, um ein - differenziertes - Bild zu vermitteln, gab es gerade von den medienkritischen Positionen keine klare Antwort.
Die einzige Antwort, die bliebe, ist, über andere Kulturen nicht oder nur in Reisereportagen zu berichten, sprich: ohne Wertung. Oder aber man stellt seine Position klar heraus und arbeitet mit dieser - warum kann unsere scheinbar aufgeklärte Gesellschaft mit dieser Methode so schwer umgehen?

Hat sich unser Russlandbild durch die Ukrainekrise verändert, wurde gefragt. Ein Beispiel von 2005 (Essays aus dem Fischer Weltalmanach "Russland und der Kaukasus“) zeigte, dass eine kritische Berichterstattung über Russland sich vor mehr als zehn Jahren nicht sehr von der heutigen Sicht unterschied, gleichwohl wird das Thema Russland seit der Krise von mehr Menschen rezipiert und diskutiert. Ungelöst bleibt die Frage, wieso Menschen, die sich hierzulande für Basisdemokratie und gegen Rassismus einsetzen, im Fall Russland für Verständnis werben. Im konkreten Fall wurde die Aussage, in Russland herrsche Rassismus gegen Kaukasier und Asiaten scharf als „Hetze“ angegriffen – ein Bekannter mit russischen Wurzeln habe geäußert, das gelte nur für Kaukasier. Die rassistischen Tendenzen in der russischen Gesellschaft wurden nicht diskutiert, sondern überlagert vom Ruf nach mehr Differenziertheit in der Darstellung.

Sicher wäre die Diskussion anders verlaufen, hätten wir unser USA-Bild als Vergleich einbezogen*. Daraus haben wir jedoch aus gutem Grund verzichtet. Es war ohnehin nicht leicht, bei der Diskussion fest beim Thema Russland und Russlandbilder zu bleiben.

Ob für die eine oder andere Partei – hier die russische Regierung, dort Organe des „Westens“ – ein Interesse am herrschenden oder gar sich verschärfenden Konflikt besteht, kann man diskutieren und soll es auch. Aber in der Regel ist bei diesen Gedankenspielen eine ebenso schlüssige Alternative zu einer Ansicht formulierbar. Obacht ist geboten, dass, wenn Spekulationen, die auf den eigenen Weltanschauungen aufbauen, diese anschließend nicht zur Wirklichkeit erklärt werden. Gedankenspiele sind keine Spiele mehr und werden gefährlich, wo sie dogmatisch werden. 

Hier muss diskutiert werden, und es darf notfalls auch wehtun. 
Der Mensch ist das einzige bekannte Wesen, schreibt der Philosoph Hans Blumenberg, dem es gegeben ist, Handlungen durch Sprache zu ersetzen. 
Dabei gingen, und das schreiben wir, weil diese Selbstverständlichkeit in diesen Tagen infrage gestellt wird, all jene, die sich als Freunde in die Diskussion gewagt haben, als solche auch wieder heraus.

Auch auf diese Beitrag hin laden wir zur Diskussion ein. Gern auch hier auf dieser Plattform.



*Hierzu wird es demnächst einen eigenen Salon geben.