Alles auf das Diesseits
Wir konnten es nicht klären – aber wie auch? Ist Glück die
Abwesenheit von Unglück, wie es Schopenhauer sagt? Ist Glück das Ergebnis
kluger Lebensstrategien und vor allem Kommunikationsstrategien, wie es Myriaden
von Ratgebern suggerieren? Vor allem lässt es sich aufladen, ausleuchten und je
nach Perspektive gänzlich anders darstellen. Darin ist es folglich nicht nur
eine Kunst, wie manche sagen, es ist auch wie die Kunst, wie sie verbreitet
verstanden wird.
Schon scheinbar einleuchtende Thesen forderten Widerspruch:
Dass etwa Unzufriedenheit die entscheidende Triebkraft für Handeln und
Veränderungen sei. Was aber ist mit den vielen Unzufriedenen, die aus ihrer vor
allem Lethargie entwickeln? Und was wäre mit dem anderen Antrieb, dem Willen,
Sehnsucht, wachsen wollen, menschlichen Geist – wären das alles nur Antworten
auf einen Mangel, eine Unzufriedenheit, wie es vereinfacht auch mit
Schopenhauer gesagt wäre? Eine unbelegbare Behauptung, vor allem jedoch analytisch
unnütz – so ließe sich jede Handlung als Antwort auf einen Mangel erklären, was
aber wäre damit gewonnen und gesagt? Eher entsteht der Verdacht, hier würden
einfache Erklärungen gesucht.
Was potenziell glücklicher macht müssen Bücher wohl nicht
lehren: Tätig sein. Hindernisse überwinden. Oder Fatalismus: Das Leiden ist gut
für irgendwas. Und man wird es finden. Das ist wie mit der Aussage, alles Sein
sei Antwort auf Mangel: Unwiderlegbare Behauptungen, fertig gedacht, aber nicht
zu Ende.
Fällt uns aber das Unglück leichter als das Glück, wie
Schopenhauer sagt? Machen wir unser Sein deswegen mit einfachen
Abkürzungsvorschlägen, was Glück bedeute und bringe, klein? Vielleicht ist das
so.
Die Glücksfantasien sind letztlich auch Zeugnis der
individualisierten Gesellschaft. Ohne Jenseitsvorstellung fährt hier und heute
vielleicht der Zug schon ab. Und über allem klingt die Mahnung: Wenn wir das
Glück, für das es keinen Ersatz, keine zweite Welt gibt, nicht erreichen, sind
wir zu allem Übel auch noch selbst schuld. (mp)