9. März 2015

Resümee Adorno-Salon




Kurzes Resümee Adorno-Salon

Christoph Boosen

Dafür, dass Adorno heutzutage kaum noch Gegenstand ausführlicher Auseinandersetzungen ist, war der Salon wirklich gut besucht. Offenbar kann es dann doch ein interessantes Unterfangen sein, sich selbst heute und angesichts einer gegenüber Adornos Zeiten ungemein veränderten medien- und kulturindustriellen Welt mit der Kritik der Kulturindustrie, wie sie Adorno in ihren Grundzügen bereits während des 2. Weltkrieges skizziert hatte, auseinanderzusetzen.
Doch um sich überhaupt über „Kulturindustrie“ unterhalten zu können, war es erst einmal sinnvoll, ein Verständnis dieses Begriffs bei Adorno zu erarbeiten. Das kann hier nicht noch einmal wiederholt werden – allenfalls soviel:

1.)   Adornos Kritik der Kulturindustrie wurde erstmals ausführlich formuliert in dem Werk „Dialektik der Aufklärung“, das Adorno bereits während des 2. Weltkrieges im us-amerikanischen Exil zusammen mit Max Horkheimer verfasste. In diesem Buch sehen die beiden Autoren die Menschheit im Übergang zur „verwalteten“ Welt. Es geht ihnen um die Erkenntnis, warum die Menschheit in eine neue Art von Barbarei abgleitet. Die völlig aufgeklärte Welt erstrahlt in völligem Unheil. „Kulturindustrie“ ist für Adorno ein Bestandteil und wesentlicher Ausdruck für diese Regression.

2.)   Der Begriff Kulturindustrie darf nicht wörtlich genommen werden. Der Bedeutungsakzent dieses Ausdrucks liegt nicht primär auf dem Produktionsvorgang als solchem, auch wenn dieser sich etwa in der Filmindustrie den sonst gesellschaftlich etablierten Produktionsformen (charakterisiert durch Arbeitsteilung, Einsatz von Maschinen sowie Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln) weitgehend angeglichen hat. Der Begriff Kulturindustrie soll vielmehr die Standardisierung der Erzeugnisse selbst - beim Film etwa erkennbar in Form der Genres (Western, etc.) - sowie die Rationalisierung der Verbreitungstechniken bezeichnen, und das Industrielle der Kulturindustrie besteht auch eher darin, dass sie sich selbst dort, wo nicht produziert wird, an industrielle Organisationsformen angleicht - ein Vorgang, den Adorno mit den Rationalisierungsprozessen in Bürobetrieben vergleicht.

3.)   Adornos Kritik der Kulturindustrie ist keine (bildungsbürgerliche) Kritik der Kommerzialisierung! Das Spezifische an kulturindustriell erzeugten Produkten besteht eben nicht darin, dass sie auch Waren darstellen, sondern dass sie dies durch und durch sind: „So zerfällt der Warencharakter der Kunst, indem er sich vollends realisiert. Sie ist eine Warengattung, zugerichtet, erfasst, der industriellen Produktion angeglichen, käuflich und fungibel, aber die Warengattung Kunst, die davon lebte, verkauft zu werden und doch unverkäuflich zu sein, wird ganz zum gleißnerisch Unverkäuflichen, sobald das Geschäft nicht mehr bloß ihre Absicht, sondern ihr einziges Prinzip ist.“ Der genuine Gebrauchswert der Kulturgüter wird durch die Dominanz des Tauschprinzips schließlich zu einem lästigen Anhängsel der Produktion, was der inneren Einstellung der Menschen zu den Kulturgütern nicht äußerlich bleiben kann. Die affektive Besetzung, die auf diese Weise dem Tauschwert der Kulturwaren fast zwangsläufig zufällt, findet so auch ihre Entsprechung in einem eigentümlichen Unvermögen der Konsumenten, die besonderen Qualitäten der Kulturgüter in der eigenen Erlebnisfähigkeit abzubilden, was Adorno interpretiert als das Resultat einer spezifischen Form der Fetischisierung der Kulturgüter. In seiner Analyse der Musik bezeichnet Adorno diese eigentümliche Gebrauchswertfunktion des Tauschwerts als Waren-Hören. Demnach besteht die rezeptive Grundhaltung beim Hören nicht mehr in einer Konzentration auf den je eigenen Gehalt der Musik. Vielmehr herrscht eine konsumorientierte Einstellung vor, die gekennzeichnet ist durch eine weitgehende Veräußerlichung der Wahrnehmung, ablesbar etwa an der fetischisierende Züge aufweisenden Bewunderung für „virtuose“ Musiker oder „grandiose“ Gesangsstimmen - ein Phänomen schließlich, welches vom Prinzip des „Stars“ am deutlichsten zum Ausdruck gebracht wird.

4.)   Und schließlich: Adornos Kritik ist keine konservative Kulturkritik! Adorno war sich dessen bewusst, dass der Kritiker immer in die Verhältnisse verstrickt bleibt, die er kritisiert. Das geforderte Verfahren im Umgang mit dieser Situation ist daher das einer immanenten Kritik in Form der bestimmten Negation gesellschaftlicher Verhältnisse in allen ihren einzelnen Momenten, was Selbstkritik mit einschließt.

In unserer Diskussion im Salon ging es dann u.a. um Adornos Verständnis von Kultur und insbesondere von Kunst. Für Adorno vermittelt Kunst immer einen Widerspruch zum gesellschaftlichen Status Quo; sie versucht, einen Ausdruck zu finden für das Leiden. Dieses Kunstverständnis stieß nicht auf allgemeine Zustimmung.

Ein wesentlicher Teil der Diskussion drehte sich dann natürlich auch darum, wie aktuell diese Theorie von Adorno heute noch sein kann. Es gibt relativ wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dieser Frage, doch es gibt sie! Die Kritik der Kulturindustrie lässt sich durchaus fürs digitale Zeitalter fortschreiben. Durchs Internet werden wir alle tendenziell zu unseren eigenen kulturindustriellen Produzenten, und der Computer könnte gleichsam als neues kulturindustrielles Leitmedium angesehen werden.

Andererseits sind die Verhältnisse dialektisch, was sich allein schon daran zeigt, dass auch dieser Text am Computer entstand. Und im Internet gar fand ich einen Text von Lars Quadfasel mit dem Titel „Kulturindustrie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“ – Walter Benjamin lässt grüßen -, aus dem ich abschließend und statt eines Fazits zitieren möchte:

„So übertrifft Kulturindustrie noch die schwärzesten Diagnosen ihres schärfsten Kritikers. In späteren Texten hatte Adorno vorsichtig seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, die Kulturindustrie verlöre langsam ihre Macht über die ihr Unterworfenen, weil diese begännen, ihre Schäbigkeit zu durchschauen. Heute schreit sie ihre Infamie offen heraus, ohne dass die Desillusionierung ihr Schaden zufügte. Im Gegenteil: Gerade der Typus des Abgebrühten, der nichts kauft, weil eh alles Schwindel sei, ist Produkt, nicht Widerpart der Kulturindustrie. Sich dem Pöbel, der sich bei Talkshows und ›Deutschland sucht den Superstar‹ freiwillig zum Affen macht, überlegen fühlen zu dürfen, ist das ultimative narzisstische Angebot des Mediums an den Zuschauer: Statt mit den armseligen Gestalten, die es vorführt, identifiziert er sich mit der Apparatur, die auf sie hinabblickt. Hoffnung gewährt daher nicht der Drübersteher, der sich etwas Besseres wähnt, sondern, ganz im Gegenteil, diejenigen Konsumenten, die das, was sie konsumieren, ganz ernst nehmen. Indem sie der kulturindustriellen Manipulierbarkeit von Leib und Seele innewerden, vermögen sie vielleicht die Erfahrung machen, für die einmal die Kunst einstand: dass es möglich ist, bei sich selbst nicht ganz zu Hause zu sein.“



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