Kurzes
Resümee Adorno-Salon
Christoph Boosen
Dafür, dass Adorno heutzutage kaum noch Gegenstand
ausführlicher Auseinandersetzungen ist, war der Salon wirklich gut besucht.
Offenbar kann es dann doch ein interessantes Unterfangen sein, sich selbst
heute und angesichts einer gegenüber Adornos Zeiten ungemein veränderten
medien- und kulturindustriellen Welt mit der Kritik der Kulturindustrie, wie
sie Adorno in ihren Grundzügen bereits während des 2. Weltkrieges skizziert
hatte, auseinanderzusetzen.
Doch um sich überhaupt über „Kulturindustrie“ unterhalten zu
können, war es erst einmal sinnvoll, ein Verständnis dieses Begriffs bei Adorno
zu erarbeiten. Das kann hier nicht noch einmal wiederholt werden – allenfalls
soviel:
1.)
Adornos Kritik der Kulturindustrie wurde
erstmals ausführlich formuliert in dem Werk „Dialektik der Aufklärung“, das
Adorno bereits während des 2. Weltkrieges im us-amerikanischen Exil zusammen
mit Max Horkheimer verfasste. In diesem Buch sehen die beiden Autoren die
Menschheit im Übergang zur „verwalteten“ Welt. Es geht ihnen um die Erkenntnis,
warum die Menschheit in eine neue Art von Barbarei abgleitet. Die völlig
aufgeklärte Welt erstrahlt in völligem Unheil. „Kulturindustrie“ ist für Adorno
ein Bestandteil und wesentlicher Ausdruck für diese Regression.
2.)
Der Begriff Kulturindustrie darf nicht wörtlich
genommen werden. Der Bedeutungsakzent dieses Ausdrucks liegt nicht primär auf dem Produktionsvorgang als solchem, auch wenn dieser sich
etwa in der Filmindustrie den sonst gesellschaftlich etablierten
Produktionsformen (charakterisiert durch Arbeitsteilung, Einsatz von Maschinen
sowie Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln) weitgehend
angeglichen hat. Der Begriff Kulturindustrie soll vielmehr die Standardisierung
der Erzeugnisse selbst - beim Film etwa erkennbar in Form der Genres
(Western, etc.) - sowie die Rationalisierung der Verbreitungstechniken
bezeichnen, und das Industrielle der Kulturindustrie besteht auch eher darin,
dass sie sich selbst dort, wo nicht produziert wird, an industrielle
Organisationsformen angleicht - ein Vorgang, den Adorno mit den
Rationalisierungsprozessen in Bürobetrieben vergleicht.
3.)
Adornos Kritik der Kulturindustrie ist keine (bildungsbürgerliche)
Kritik der Kommerzialisierung! Das Spezifische an kulturindustriell erzeugten
Produkten besteht eben nicht darin, dass sie auch Waren darstellen, sondern dass sie dies durch und durch sind: „So zerfällt der Warencharakter der Kunst,
indem er sich vollends realisiert. Sie ist eine Warengattung, zugerichtet,
erfasst, der industriellen Produktion angeglichen, käuflich und fungibel, aber
die Warengattung Kunst, die davon lebte, verkauft zu werden und doch
unverkäuflich zu sein, wird ganz zum gleißnerisch Unverkäuflichen, sobald das
Geschäft nicht mehr bloß ihre Absicht, sondern ihr einziges Prinzip ist.“ Der
genuine Gebrauchswert der Kulturgüter wird durch die Dominanz des
Tauschprinzips schließlich zu einem lästigen Anhängsel der Produktion, was der
inneren Einstellung der Menschen zu den Kulturgütern nicht äußerlich bleiben
kann. Die affektive Besetzung, die auf diese Weise dem Tauschwert der
Kulturwaren fast zwangsläufig zufällt, findet so auch ihre Entsprechung in
einem eigentümlichen Unvermögen der Konsumenten, die besonderen Qualitäten der
Kulturgüter in der eigenen Erlebnisfähigkeit abzubilden, was Adorno
interpretiert als das Resultat einer spezifischen Form der Fetischisierung der
Kulturgüter. In seiner Analyse der Musik bezeichnet Adorno diese eigentümliche
Gebrauchswertfunktion des Tauschwerts als Waren-Hören.
Demnach besteht die rezeptive Grundhaltung beim Hören nicht mehr in einer
Konzentration auf den je eigenen Gehalt der Musik. Vielmehr herrscht eine
konsumorientierte Einstellung vor, die gekennzeichnet ist durch eine
weitgehende Veräußerlichung der Wahrnehmung, ablesbar etwa an der
fetischisierende Züge aufweisenden Bewunderung für „virtuose“ Musiker oder
„grandiose“ Gesangsstimmen - ein Phänomen schließlich, welches vom Prinzip des
„Stars“ am deutlichsten zum Ausdruck gebracht wird.
4.)
Und schließlich: Adornos Kritik ist keine
konservative Kulturkritik! Adorno war sich dessen bewusst, dass der Kritiker
immer in die Verhältnisse verstrickt bleibt, die er kritisiert. Das geforderte
Verfahren im Umgang mit dieser Situation ist daher das einer immanenten Kritik
in Form der bestimmten Negation gesellschaftlicher Verhältnisse in allen ihren
einzelnen Momenten, was Selbstkritik mit einschließt.
In unserer Diskussion im Salon ging es dann u.a. um Adornos Verständnis
von Kultur und insbesondere von Kunst. Für Adorno vermittelt Kunst immer einen
Widerspruch zum gesellschaftlichen Status Quo; sie versucht, einen Ausdruck zu
finden für das Leiden. Dieses Kunstverständnis stieß nicht auf allgemeine
Zustimmung.
Ein wesentlicher Teil der Diskussion drehte sich dann
natürlich auch darum, wie aktuell diese Theorie von Adorno heute noch sein kann.
Es gibt relativ wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dieser Frage,
doch es gibt sie! Die Kritik der Kulturindustrie lässt sich durchaus fürs digitale
Zeitalter fortschreiben. Durchs Internet werden wir alle tendenziell zu unseren
eigenen kulturindustriellen Produzenten, und der Computer könnte gleichsam als
neues kulturindustrielles Leitmedium angesehen werden.
Andererseits sind die Verhältnisse dialektisch, was sich
allein schon daran zeigt, dass auch dieser Text am Computer entstand. Und im
Internet gar fand ich einen Text von Lars Quadfasel mit dem Titel
„Kulturindustrie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“ – Walter
Benjamin lässt grüßen -, aus dem ich abschließend und statt eines Fazits
zitieren möchte:
„So übertrifft Kulturindustrie noch die schwärzesten Diagnosen
ihres schärfsten Kritikers. In späteren Texten hatte Adorno vorsichtig seiner
Hoffnung Ausdruck verliehen, die Kulturindustrie verlöre langsam ihre Macht
über die ihr Unterworfenen, weil diese begännen, ihre Schäbigkeit zu
durchschauen. Heute schreit sie ihre Infamie offen heraus, ohne dass die
Desillusionierung ihr Schaden zufügte. Im Gegenteil: Gerade der Typus des
Abgebrühten, der nichts kauft, weil eh alles Schwindel sei, ist Produkt, nicht
Widerpart der Kulturindustrie. Sich dem Pöbel, der sich bei Talkshows und
›Deutschland sucht den Superstar‹ freiwillig zum Affen macht, überlegen fühlen
zu dürfen, ist das ultimative narzisstische Angebot des Mediums an den
Zuschauer: Statt mit den armseligen Gestalten, die es vorführt, identifiziert
er sich mit der Apparatur, die auf sie hinabblickt. Hoffnung gewährt daher
nicht der Drübersteher, der sich etwas Besseres wähnt, sondern, ganz im
Gegenteil, diejenigen Konsumenten, die das, was sie konsumieren, ganz ernst
nehmen. Indem sie der kulturindustriellen Manipulierbarkeit von Leib und Seele
innewerden, vermögen sie vielleicht die Erfahrung machen, für die einmal die
Kunst einstand: dass es möglich ist, bei sich selbst nicht ganz zu Hause zu
sein.“