23. März 2015

44. Neustädter Salon



Neoliberalismus


„Neoliberal statt sozial. Studie zeigt Schlechterstellung von Altenpflegerinnen.“ (Junge Welt)

„Merkels Agenda ist im Kern neoliberal.“
(Stephan Hebel, politischer Journalist)

„Mehr Neoliberalismus wagen!“
Michael von Prollius im Cicero
                
Was steckt wirklich hinter dem Begriff „neoliberal“?

Was taugt er zur Analyse der Gegenwart und zur Beschreibung von Politiken?

„Ekel-Alfred“ nannte seinerzeit alles „kommunistisch“, was die Sozialdemokratie unternahm. Geht es dem Begriff „neoliberal“ nicht heute genauso, immer wenn es um Privatisierung, Kapital und Wirtschaftspolitik geht?


Alle Neugierigen sind zu unserer Debattierrunde wie immer herzlich willkommen.



TERMIN: Freitag, 27.03.2015 ab 20.00 Uhr

ORT: Atelier Werkstatt, Kamenzer Straße 45, Dresden






 
 

19. März 2015

Beitrag zum Infantilisierungs-Salon

Die Frage, inwiefern strengere Regeln für Finanzberater einer Unmündigkeit und damit Infantilisierung möglicherweise Vorschub leisten, war ein Thema der vergangenen Diskussion.

Dazu passt ein Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung, den wir hier wiedergeben.

Natürlich kann man das auch aus einem anderen Winkel sehen. Beiträge dazu sind gern gesehen.


10. März 2015

Resümee Infantilisierungs-Salon


Infantilisierungssolon – Ein Rückblick



Die Infantilisierung der Gesellschaft ist ein immer wiederkehrendes Thema der Feuilletons, in der (Sozial-) Wissenschaft spielt der Begriff aber kaum eine Rolle. Warum das so ist, wurde auch im Salon schnell klar. Die Konzepte und Tendenzen, die sich hinter dem Begriff versammeln, unterscheiden sich abhängig vom Betrachter und der Betrachtungsweise was denn infantil oder kindlich sei – und damit auch von einem Werturteil, was erwachsenes Verhalten sei. Der Begriff kann nicht wertneutral verwendet oder "objektiviert" werden.
Was wären aber infantile Zuschreibungen? Wunschgetriebenheit, Narzissmus, Stilisierung, Der Effekt als Inhalt einer Botschaft, das Plädieren auf eigene Unzurechnungsfähigkeit, Entpolitisierungen, Fixierung auf das Hier und Jetzt, Ästhetisierung der Existenz, Zurschautragen von Sexualität, Provokation als Selbstzweck, das Nicht-Aushalten von Ambivalenzen und Widersprüchen, Zeigestolz oder die Fehlende Unterscheidung von Ich und Welt wären die wichtigsten Beispiele. Natürlich erwecken sie Widerspruch, und es geht nicht darum, diese Eigenschaften abzuwerten. Allerdings begibt sich eine Gesellschaft, in der sich diese Eigenschaften häufen, in Gefahr. Die Frage der Infantilisierung wird dabei stets im Zusammenhang stehen mit der Frage des Liberalismus. Es ist zweischneidig: Freiheit bedeutet Ermächtigung, mithin Mündigkeit – öffnet aber auch das Tor zu infantilem Verhalten. 

Ein präsentes Beispiel für infantile Tendenzen ist die Fokussierung auf unsere eigenen Wünsche und Gefühle als Maßstab des Handels. Ich-Botschaften sind Zeitgeist geworden, seit bekannt wurde, dass sie Beziehungskonflikte lösen helfen. Doch dabei werden gelegentlich Aussage (das Miteinander) und Methode (Ich-Botschaft) verwechselt. Es gibt eine wichtigere Komponente, wenn es um „erwachsenen“ Umgang mit Konflikten und Entscheidungen geht: Das Maß. Sich nicht mäßigen können ist ein Wesenszug, den man infantil nennen kann. Und eine Gesellschaft, die sich nicht zu mäßigen versteht, wiese ein Merkmal des Infantilismus auf. 

Wie nahe liegt beim Sprechen über Maßlosigkeit der Verweis auf die kapitalistische Welt mit den ihr innewohnenden infantilen Strömungen, sei es das Haben-Wollen oder die Verkürzung/Vereinfachung von Inhalten, um mit wenig ökonomischem Aufwand eine möglichst große Gruppe anzusprechen. Dies alles liegt in solcher Weise auf der Hand, dass der analytische Gewinn der Diskussion wohl überschaubar ist. Dennoch hat sich die Diskussion in diesem Thema verstrickt, weil es ein ethisch und normativ extrem geladener Bereich ist. Das ging bis zu der Position, dass Individuen in unserer Gesellschaft bewusst infantil gehalten werden, um sich besser steuern zu lassen – eine Mehrheit fand diese Position nicht, deren systematischer Nachweis aussteht. 

Wir untersuchten das Problem an einer Frage: Ein gerissener Anlageberater mag an infantilen Kunden interessiert sein, da sie im Idealfall zügig und kritiklos gewinnträchtige Verträge unterschreiben. Gesetzesänderungen aus neuerer Zeit schützen Verbraucher vor Verträgen, die sie nicht verstehen, erhöhen die Beratungs- und Nachweispflichten für die Berater beträchtlich. Wird damit aber Verantwortung vom Verbraucher genommen, ihm mithin die Mündigkeit abgesprochen? Wird damit nicht jene Infantilität befördert, von der die Branche dann wieder profitiert? Umso leichter es scheint, aus einem Vertrag auszusteigen, umso weniger muss ich ihn verstehen. Hier einigten wir uns nicht – das Thema ist zu stark von persönlichen Erfahrungen und Wertvorstellungen geprägt, um es an einem informellen Abend auf der abstrakten Ebene verhandeln zu können.

Als „kollektive Selbstverkleinerung“  beschrieb ein Beobachter die Infantilisierung. Sie vergrößert die Gefahr, einfachen Lösungen auf den Leim zu gehen. Es nimmt uns geistige und ästhetische Potenziale. Bedenken wir nur den Erfolg von Shades of Grey, ein Buch, das scheinbar sehr erwachsene Themen behandelt – tatsächlich aber ein Sammelsurium der Infantilität ist. Krönung ist die Entführung auf das Märchenschloss, das der Protagonistin wiederfährt, als sie mit dem Hubschrauber in die Luxusimmobile des sexsüchtigen Milliardärs geflogen wird. Nichts in dem Buch verweist auf etwas außerhalb seiner selbst. Es ist eine Kinderwunschwelt, die sich in sich begnügt. Das heißt nicht, dass Erwachsene so etwas nicht dürfen – aber sie sollen sich selbst darin nicht verlieren. Es muss Teil der Welt bleiben – sich selbst mit der Welt kritisch in Beziehung setzen, das ist kein infantiles Verhalten. Dabei existiert beim kritischen Denken ein entscheidender Unterschied zwischen reflektiert und reflexhaft – letzteres ist auch eine infantile Tendenz unserer Zeit.

In unserer Gesellschaft sind die Boulevardmedien ein reger Infantilisierer. Der Konflikt entsteht dadurch, ein möglichst großes Publikum erreichen zu wollen: Wie niedrig muss ich die Schwelle legen? Was darf ich vom Anderen erwarten? Nahe liegt es da, mit den einfachsten Reizen zu arbeiten. So eine Reizquelle ist das Internet - gerade auch für aufgeklärte Menschen. Nie war es leichter, sich Selbstbestätigung abzuholen und sich der Widersprüche der Welt zu entledigen. Vielschichtigkeit zu erfahren und zu verstehen steht auf dem Spiel. Dazu bedient sich die Gesellschaft einer komplexen Symbolsprache. Symbole zu deuten ist ein kulturell gewachsener Prozess, den zu erlernen Reifung bedeutet. Es ist kindisch, alles beim Wort zu nehmen. Aber dem, der nicht dahinter schauen mag, ist mit Vernunft nicht beizukommen. Die bibelworttreue Teaparty-Bewegung in den USA war ein Beispiel dafür. Weitere wird jeder in seinem Umfeld, ja bei sich selbst finden.

Zur Unendlichkeit der Ebenen, auf denen sich die Welt abspielt, gibt es mit Selbstverliebtheit, Simplifizierung und Schönheitssucht keinen Zutritt.


Abschließen wollen wir mit einer Botschaft der Philosophin Susan Neiman: Erwachsen sein heißt beides zugleich im Blick haben: Die Welt, wie sie ist. Und wie sie sein sollte.


Marcel Pochanke




9. März 2015

Resümee Adorno-Salon




Kurzes Resümee Adorno-Salon

Christoph Boosen

Dafür, dass Adorno heutzutage kaum noch Gegenstand ausführlicher Auseinandersetzungen ist, war der Salon wirklich gut besucht. Offenbar kann es dann doch ein interessantes Unterfangen sein, sich selbst heute und angesichts einer gegenüber Adornos Zeiten ungemein veränderten medien- und kulturindustriellen Welt mit der Kritik der Kulturindustrie, wie sie Adorno in ihren Grundzügen bereits während des 2. Weltkrieges skizziert hatte, auseinanderzusetzen.
Doch um sich überhaupt über „Kulturindustrie“ unterhalten zu können, war es erst einmal sinnvoll, ein Verständnis dieses Begriffs bei Adorno zu erarbeiten. Das kann hier nicht noch einmal wiederholt werden – allenfalls soviel:

1.)   Adornos Kritik der Kulturindustrie wurde erstmals ausführlich formuliert in dem Werk „Dialektik der Aufklärung“, das Adorno bereits während des 2. Weltkrieges im us-amerikanischen Exil zusammen mit Max Horkheimer verfasste. In diesem Buch sehen die beiden Autoren die Menschheit im Übergang zur „verwalteten“ Welt. Es geht ihnen um die Erkenntnis, warum die Menschheit in eine neue Art von Barbarei abgleitet. Die völlig aufgeklärte Welt erstrahlt in völligem Unheil. „Kulturindustrie“ ist für Adorno ein Bestandteil und wesentlicher Ausdruck für diese Regression.

2.)   Der Begriff Kulturindustrie darf nicht wörtlich genommen werden. Der Bedeutungsakzent dieses Ausdrucks liegt nicht primär auf dem Produktionsvorgang als solchem, auch wenn dieser sich etwa in der Filmindustrie den sonst gesellschaftlich etablierten Produktionsformen (charakterisiert durch Arbeitsteilung, Einsatz von Maschinen sowie Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln) weitgehend angeglichen hat. Der Begriff Kulturindustrie soll vielmehr die Standardisierung der Erzeugnisse selbst - beim Film etwa erkennbar in Form der Genres (Western, etc.) - sowie die Rationalisierung der Verbreitungstechniken bezeichnen, und das Industrielle der Kulturindustrie besteht auch eher darin, dass sie sich selbst dort, wo nicht produziert wird, an industrielle Organisationsformen angleicht - ein Vorgang, den Adorno mit den Rationalisierungsprozessen in Bürobetrieben vergleicht.

3.)   Adornos Kritik der Kulturindustrie ist keine (bildungsbürgerliche) Kritik der Kommerzialisierung! Das Spezifische an kulturindustriell erzeugten Produkten besteht eben nicht darin, dass sie auch Waren darstellen, sondern dass sie dies durch und durch sind: „So zerfällt der Warencharakter der Kunst, indem er sich vollends realisiert. Sie ist eine Warengattung, zugerichtet, erfasst, der industriellen Produktion angeglichen, käuflich und fungibel, aber die Warengattung Kunst, die davon lebte, verkauft zu werden und doch unverkäuflich zu sein, wird ganz zum gleißnerisch Unverkäuflichen, sobald das Geschäft nicht mehr bloß ihre Absicht, sondern ihr einziges Prinzip ist.“ Der genuine Gebrauchswert der Kulturgüter wird durch die Dominanz des Tauschprinzips schließlich zu einem lästigen Anhängsel der Produktion, was der inneren Einstellung der Menschen zu den Kulturgütern nicht äußerlich bleiben kann. Die affektive Besetzung, die auf diese Weise dem Tauschwert der Kulturwaren fast zwangsläufig zufällt, findet so auch ihre Entsprechung in einem eigentümlichen Unvermögen der Konsumenten, die besonderen Qualitäten der Kulturgüter in der eigenen Erlebnisfähigkeit abzubilden, was Adorno interpretiert als das Resultat einer spezifischen Form der Fetischisierung der Kulturgüter. In seiner Analyse der Musik bezeichnet Adorno diese eigentümliche Gebrauchswertfunktion des Tauschwerts als Waren-Hören. Demnach besteht die rezeptive Grundhaltung beim Hören nicht mehr in einer Konzentration auf den je eigenen Gehalt der Musik. Vielmehr herrscht eine konsumorientierte Einstellung vor, die gekennzeichnet ist durch eine weitgehende Veräußerlichung der Wahrnehmung, ablesbar etwa an der fetischisierende Züge aufweisenden Bewunderung für „virtuose“ Musiker oder „grandiose“ Gesangsstimmen - ein Phänomen schließlich, welches vom Prinzip des „Stars“ am deutlichsten zum Ausdruck gebracht wird.

4.)   Und schließlich: Adornos Kritik ist keine konservative Kulturkritik! Adorno war sich dessen bewusst, dass der Kritiker immer in die Verhältnisse verstrickt bleibt, die er kritisiert. Das geforderte Verfahren im Umgang mit dieser Situation ist daher das einer immanenten Kritik in Form der bestimmten Negation gesellschaftlicher Verhältnisse in allen ihren einzelnen Momenten, was Selbstkritik mit einschließt.

In unserer Diskussion im Salon ging es dann u.a. um Adornos Verständnis von Kultur und insbesondere von Kunst. Für Adorno vermittelt Kunst immer einen Widerspruch zum gesellschaftlichen Status Quo; sie versucht, einen Ausdruck zu finden für das Leiden. Dieses Kunstverständnis stieß nicht auf allgemeine Zustimmung.

Ein wesentlicher Teil der Diskussion drehte sich dann natürlich auch darum, wie aktuell diese Theorie von Adorno heute noch sein kann. Es gibt relativ wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dieser Frage, doch es gibt sie! Die Kritik der Kulturindustrie lässt sich durchaus fürs digitale Zeitalter fortschreiben. Durchs Internet werden wir alle tendenziell zu unseren eigenen kulturindustriellen Produzenten, und der Computer könnte gleichsam als neues kulturindustrielles Leitmedium angesehen werden.

Andererseits sind die Verhältnisse dialektisch, was sich allein schon daran zeigt, dass auch dieser Text am Computer entstand. Und im Internet gar fand ich einen Text von Lars Quadfasel mit dem Titel „Kulturindustrie im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“ – Walter Benjamin lässt grüßen -, aus dem ich abschließend und statt eines Fazits zitieren möchte:

„So übertrifft Kulturindustrie noch die schwärzesten Diagnosen ihres schärfsten Kritikers. In späteren Texten hatte Adorno vorsichtig seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, die Kulturindustrie verlöre langsam ihre Macht über die ihr Unterworfenen, weil diese begännen, ihre Schäbigkeit zu durchschauen. Heute schreit sie ihre Infamie offen heraus, ohne dass die Desillusionierung ihr Schaden zufügte. Im Gegenteil: Gerade der Typus des Abgebrühten, der nichts kauft, weil eh alles Schwindel sei, ist Produkt, nicht Widerpart der Kulturindustrie. Sich dem Pöbel, der sich bei Talkshows und ›Deutschland sucht den Superstar‹ freiwillig zum Affen macht, überlegen fühlen zu dürfen, ist das ultimative narzisstische Angebot des Mediums an den Zuschauer: Statt mit den armseligen Gestalten, die es vorführt, identifiziert er sich mit der Apparatur, die auf sie hinabblickt. Hoffnung gewährt daher nicht der Drübersteher, der sich etwas Besseres wähnt, sondern, ganz im Gegenteil, diejenigen Konsumenten, die das, was sie konsumieren, ganz ernst nehmen. Indem sie der kulturindustriellen Manipulierbarkeit von Leib und Seele innewerden, vermögen sie vielleicht die Erfahrung machen, für die einmal die Kunst einstand: dass es möglich ist, bei sich selbst nicht ganz zu Hause zu sein.“