11. Juli 2017

Rückblick auf den Salon "Wem gehört der Tod?"



Wo Ewigkeitsentscheidungen auf Gegenwartskultur treffen


Wenn wir die Terakotta-Armee von Qin Shihuangdi aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. ausgraben und Besucher hindurchleiten - ist das ethisch vertretbar? Immerhin wollte der gestorbene Kaiser, dass die Krieger ihn auch nach dem Tod beschützen, die Grabstätte wurde als die Wohnstätte der Seele angesehen. Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe und dem Wunsch des Gestorbenen - die Mehrheit der Diskutanten meinte, das sei schon in Ordnung so. So diene der Ort mehr Menschen als nur einem.
Spitzen wir den Gedanken zu. Da war die Ausstellung vom mumifizierten Toten in Mannheim. Menschen, darunter Kinder, werden als teils verweste Tote ausgestellt, die im guten Glauben starben, eine "letzte Ruhestätte" zu finden. Jetzt lagen sie in klimatisierten Vitrinen. Und ist der Erkenntnisgewinn der Besucher und Betrachter mehr als blanker Voyeurismus?
Auch dieses Szenario ließ sich zuspitzen.
Charles Byrne war 22, als er 1783 starb - und 2,30 Meter groß. Er hatte große Sorge, als Ausstellungsstück herumgereicht zu werden und verfügte eine Seebestattung. Der Sarg wurde mithilfe von Bestechung abgefangen, noch heute steht das Skelett im Hunterian Museum in London. Forderungen, Charles Byrne endlich zu bestatten, lehnt der Museumsdirektor weiterhin ab. Der Grund: wissenschaftliches Interesse.

Am Ende steht die Frage: Ist es so, dass die aktuell gültigen kulturellen Vorstellungen die früheren in solcher Weise überschreiben, dass das Ewigkeitsdenken der Vormaligen seine Gültigkeit verliert?  Und die Stätten und Orte der Ewigkeit wieder auflösen?
Ja, Lebende sind mehr wert als Tote, wenn es um Entscheidungsfragen geht - mag man einwenden. Aber auch das ist eine kulturelle Vorstellung unserer Zeit.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen und die Wünsche des Gestorbenen sind oft schwer zu vereinen. Helmut Kohl diente als akutelles Beispiel. Das deutsche Interesse, vom "Kanzler der Eiheit" auch in der Hauptstadt, am Brandenburger Tor, dem Symbol der Einheit, Abschied zu nehmen, musste zurücktreten hinter der privaten Entscheidung, das eben nicht zu tun.
Bemerkenswert dabei, wie viel Entscheidungsmacht auch ein spät angeheirateter Partner hier hat.
Eine Entscheidung hat auch Max Brodt getroffen, als er Franz Kafkas nachgelassenes Werk nicht verbrannte, wie es der Schriftsteller verfügt hatte. Es bleibt eine persönliche Gewissensfrage, wie mit solchen Verfügungen umzugehen ist. Muss man den Wunsch, gerade der sensiblen Seele Kafkas, nicht unbedngt respektieren? Oder ist ihm mit der Veröffentlichung und dem posthumen Verständnis und den Reflexionen, die seine Literatur auslöst, nicht viel mehr gedient?
Auch Thomas Bernhard, der österreichische Dramatiker, verfügte, dass seine Werke nie mehr in seinem Heimatland aufgeführt werden sollen. An eine Umsetzung dieses Willens ist überhaupt nicht zu denken.