Nichtwählen
Der Salon war in einer Hinsicht eine Enttäuschung: Kein
einziger echter Nichtwähler hatte den Weg ins Atelier gefunden, obwohl wir
viele Gründe nennen konnten, es bleiben zu lassen. Einem System, das man nicht
gutheißt, die Unterstützung zu entziehen, das wäre so einer.
Die Wahl würde, folgt man Autoren wie Peter Decker, ein bürgerliches
Herrschaftssystem festigen, das wegen der Ferne und Entfremdung zwischen Problem und Entscheider abzulehnen ist.
Die Abstinenz von der Wahl aber würde für die
Änderung des politischen Systems nur außerhalb der Verfassung zulassen – eine
wohl nicht mehrheitsfähige, im Salon als problematisch empfundene Strategie – wenn sich
überhaupt von einer Strategie sprechen lässt, da es oft bei der Geste der Ablehnung bleibt und Alternativen nur sehr kleinräumig gedacht werden. Nicht wählen und drüber reden ist allerdings das Mindeste, was der
Verantwortung des Einzelnen am Gemeinwesen entspricht. Eine Trennung zwischen
Staat auf der einen und Einwohnern auf der anderen Seite ist eine gefährliche
Sichtweise, die sowohl Passivität als auch Radikalität hervorbringt – und damit
zwei Nichtwählertypen.
Expressives Wählen
Nicht wählen und drüber reden ist auch die im "Spiegel" provokant
vorgebrachte Einstellung von Harald Welzer im Vorfeld der Bundestagswahl 2013.
Die relevanten Parteien wüssten einfach keine Antwort auf die drängenden
Zukunftsfragen, ja sie kennen die Frage nicht einmal, so die These des bekannten Soziologen. Die Wahl
des kleineren Übels könne er endlich nicht mehr mittragen. Freilich war der Essay ein
Fanal, wählen war er dennoch.
Aber war das rational? Die Rational Choice Theorie bröckelt
am sogenannten Wahlparadoxon: Obwohl man verschwindend wenig bewegen kann,
nimmt man den Aufwand der Wahl auf sich. Der Aufwand sei für die Theorie viel
zu gering sagen die einen. Es könnte entscheidend sein, sagen die anderen. Und
vor allem ist der Ausdruck des Willens, die expressive Geste, ein wichtiger
Faktor für Individuum und Gesellschaft. Daraus aber einen „Wählerwillen“
verallgemeinernd abzuleiten oder die Entscheidungen von Gruppenmitgliedern nur
global auszuwerten wäre ein Fehler, zumindest aber eine intellektuelle
Kapitulation.
Der Weg vom Einzelnen zur Entscheidung des großen Systems ist
voller Fallstricke und führt oft zu Ergebnissen, die den Einzelinteressen eher
widerstreben. Aber ohne Repräsentanten ist eine Verwaltung technisch nicht
umsetzbar. Und einen Diktator wünscht sich auch keiner. Die Fehler machen wir,
wie alle Menschen seit Urzeiten, am liebsten doch selber.
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