24. April 2017

Rückblick auf den 65. Salon



Mit oder ohne Empathie?

Mit der Empathie ist das so eine Sache. Sie ist dadurch da, dass das Empfinden eines Anderen uns für eine gewisse Zeit mehr beeinflusst als unser eigenes. Wobei sich das eigene Denken da unweigerlich hinein mischt. Sie ist Teil des Umgangs mit anderen, existiert aber nicht in irgendeiner Reinform. Einer gängigen und auch im Salon vertretenen Beschreibung zufolge zeigt sie kein Wollen. Sie urteilt nicht. Sie offenbart keine eigene Identität.
Das Wort Empathie wird derzeit allerorts gebraucht: Jeder kann ihn mit seinen Vorstellungen aufladen, ein Lebenskonzept, eine Charaktereigenschaft, eine Gesprächshaltung darin sehen. Darin liegt eine wesentliche Schwäche des Argumentierens mit oder über Empathie. 

Empathie zeigt sich heute als sozial erwünschte Verhaltensweise, ist durchweg positiv aufgeladen und wird von der Gesellschaft mit Achtung belohnt. Empathie duldet kein Gegenargument. Deshalb ist es auch schwer, sich gegen Pseudo-Empathie zu wehren - gegen das betonte Zeigen von Anteilnahmen, ohne dass man den wirklichen "Bedarf" an Anteilnahme durch empathisches Einfühlen ermittelt. Dort, wo sich Empathie äußert, muss sie also nicht automatisch stärker vertreten sein.

Mit Nachdruck wurde von Diskutanten darauf verwiesen, dass es Empathie als solche nur zwischen zwei Individuen geben könne. Gleichwohl schreibt etwa Jeremy Rifkin von empathischen Gesellschaften. Ließe sich das, was solche empathichen Gesellschaften ausmacht auch mit anderen, weniger modischen Worten und Begriffen beschreiben? Aber Toleranz, Offenheit etc. lassen das Problem der Identifizierbarkeit und Vergleichbarkeit  auch nicht hinter sich. 

Gleichwohl stellten wir die Frage, ob die Menschen in dieser Gesellschaft empathischer handeln, sofern man das beurteilen und begrifflich so fassen möchte. Hier gingen die Meinungen auseinander, wobei eine Tendenz zum "ja" erkennbar blieb. Gerade der Versuch vieler Eltern, Kinder empathisch und zu Empathie zu erziehen, könnte interessante Veränderungen im gesellschaftlichen Miteinander der kommenden Jahrzehnte mit sich bringen. Dabei war nicht unumstritten, ob durchweg positive Effekte zu erwarten seien.

Wir sprachen auch an anderer Stelle über problematische Phänomene, die mit Empathie in Zusammenhang stehen. Beispielhaft dafür in Anlehnung an Beobachtungen des Germanisten Fritz Breithaupt die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Wer zu irgend einem Zeitpunkt auf Trumps Seite stand, musste ihn bis zum Ende immer energischer verteidigen, lautet die These. Die Ursache liegt in der Empathie für den augenscheinlich von allen Seiten angegriffenen. Dabei nutzen die Angriffe dem polarisierenden Kandidaten in solchem Maße, dass er sie selbst durch krasse Aussagen und markantes Auftreten immer wieder  provoziert. Hier wirkt die Empathie stärker als die Sachargumente, um die der Konflikt sich abspielt. Parallelen zur deutschen oder europäischen Politik sind nicht schwer auszumachen.

Entscheidungen, etwa in der Politik, mit Empathie zu begründen, hat sich überhaupt als heikel erwiesen. Menschlichkeit als Motiv ist freilich nur zu befürworten. Dort aber, wo konkurrierende Gruppen Empathie einfordern, ist sie als Argumentationsgrundlage verloren.

Über Empathie zu reden hat sich als lohnend erwiesen. In vieler Hinsicht bleibt ein einfühlendes Miteinander wünschenswert. Unsicher bleibt aber, ob der Begriff der Empathie hier über den Reiz des Guten, den er ausstrahlt, die gesellschaftliche Diskussion wirklich bereichert. Sich in ein Gegenüber hineindenken und hineinfühlen zu können, ist seit jeher einer Charaktereigenschaft von Menschen, die wir als angenehm empfinden. Durch die Empathiekultur bekommt diese Eigenschaft einen eigenen Stellenwert. Das kann durchaus ein Gewinn sein. Die fehlende Diskursfähigkeit der Empathie aber macht sie verwundbar, wenn es zum Konflikt kommt.

1 Kommentar:

  1. Das ist eine sehr gelungene, differenzierte und stilsichere Zusammenfassung der abendlichen Diskussion. Wie so häufig bei der Erörterung von Begriffen bleibt jedoch eine gewisse Unschärfe beim individuellen Verständnis derselben nicht aus. Definitionen zum Beginn sind auf jeden Fall hilfreich, aber ich meine doch bemerkt zu haben, dass das jeweilige Empfinden - was bedeutet Empathie für mich - nicht einfach aufzubrechen war. Das macht es zum einen spannend und vielfältig, zeigt aber auch die Schwierigkeit, eine gemeinsame „Idee“ von etwas innerhalb einer Gruppe zu manifestieren. Vielleicht ist ein kleiner Wink, einmal einen Exkurs in Richtung der Sprachphilosophie zu unternehmen.

    Viele Grüße,
    Sebastian

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